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Rubrik: Munitionsdepots / Versorgungsdepots bzw. Munitionsproduktion Translation: English French Spanish Italian Dutch Danish Polish Russian
Die Heeres-Nebenmunitionsanstalt (Bergwerk) Lehrte /
Heeres-Munitionsanstalt (Bergwerk) Ilten
 Bis 1945: 
Die zwei unterschiedlichen offiziellen Bezeichnungen der hier vorgestellten Anlage deuten auf eine grundlegende Veränderung der Funktion hin. Das Objekt wurde als Heeres-Nebenmunitionsanstalt (Bergwerk) Lehrte aufgebaut. Aufgabe war zunächst, wie für Nebenmuna üblich, nur die Lagerung von Munition. Nach einigen Jahren kam die Fertigstellung von Kampfmitteln hinzu. Folgerichtig ist danach die Funktionsbezeichnung auf Heeres-Munitionsanstalt (Bergwerk) geändert worden. Da man im Laufe des Betriebes vermehrt den Umschlag über den Schacht Hugo durchführte, welcher auf dem Gebiet der Ortschaft Ilten liegt, folgte schließlich auch die Anpassung des Ortsnamens.
Gebräuchlich sind die Kurzbezeichnungen Muna Lehrte und Muna Ilten gewesen.

Deutschland hatte bis zum Ende des I. Weltkrieges eine Monopolstellung in der Förderung von Kalisalz. Der Rohstoff wird bis heute zu Mineraldünger verarbeitet. Im Reichsgebiet existierten zahlreiche Kali-Bergwerke. Ein Schwerpunkt in Norddeutschland war das Südhannoversche Revier, mit mehr als 40 Schächten.

Südlich von Lehrte entstanden zwischen 1907 und 1915 vier Bergwerke zur Kali-Förderung. Seit 1903 gilt für den Bergbau die preußische Zweischachtverordnung. Die sieht vor, daß jede Anlage über zwei Verbindungen zur Oberfläche verfügen muß, um insbesondere in Notfällen eine weitere Fluchtmöglichkeit zu bieten. Daher sind bei den hiesigen Objekten jeweils zwei Bergwerke im Untergrund miteinander verbunden worden.
Die älteste und bedeutendste Anlage im Bereich war das Werk Hugo. Es liegt gut 3 km südlich des Stadtzentrums von Lehrte, befindet sich aber bereits auf dem Gebiet der Ortschaft Ilten. Der Bau des Schachtes begann am 2. Januar 1908. Er ist seinerzeit bis in eine Tiefe von 600 m gegraben worden. Die Hauptsohlen für den Abbau von Kali sind in 520 und 580 m Tiefe gewesen. Letztere ist die Fördersohle, auf der transportiert wurde. Die unterirdischen Abbaufelder dehnten sich östlich und nordöstlich des Schachtes aus.
Als zweites entstand nur 1 km nördlich das Werk Bergmannssegen. Hier startete der Schachtbau am 19. November 1910. Er wurde 610 m tief gegraben. Abbausohlen waren in den Tiefen 400, 525 und 580 m angesetzt. Ergänzend kam eine Sohle in 630 m hinzu. Auch in dieser Anlage befand sich die Fördersohle auf 580 m. Die Abbaufelder dehnten sich zwischen Werksgelände und der Eisenbahnstrecke Lehrte - Hildesheim in östlicher und nordöstlicher Richtung aus.
Zunächst hatte man geplant zur Erfüllung der Zweischachtverordnung Hugo und Bergmannssegen miteinander zu verbinden, es kam jedoch anders. Statt dessen ist 1,5 km östlich von Hugo das Bergwerk Erichssegen eingerichtet worden. Hier war der Baubeginn am 25. November 1912. Dieser Schacht bekam eine Tiefe von 600 m. Sohlen entstanden in den Tiefen 460, 520 und 580 m. Zusätzlich ging es über Blindschächte bis auf 630 m herab. Die Hauptfördersohle lag ebenfalls auf 580 m. Auf dieser Ebene wurde am 23. Dezember 1916 die Verbindung zu Hugo hergestellt. Bemerkenswert ist, daß durch die Verbindung beider Bergwerke ein natürlicher Luftstrom einsetzte, der die untertägigen Anlagen mit Frischluft versorgte. Erklärt hatte man den Umstand mit den unterschiedlichen Baujahren der Bergwerke. Im älteren Schacht Hugo war die Untertageanlage durch die etwas längere Nutzung mehr abgekühlt. So schob die kältere Luft von Hugo die wärmere durch Erichssegen aus dem Schacht heraus. Ein vorhandener großer Ventilator an der Schachthalle von Erichssegen mußte seinerzeit nicht aktiviert werden. Auffällig ist, daß die Abbaufelder im Untergrund eine unmittelbare Fortsetzung des Werkes Hugo bilden. Man mußte in 580 m Tiefe mehr als 1 km Richtung Südwesten zurücklegen, bis die Abbauorte erreicht wurden.
Schließlich kam als viertes 1,5 km nordöstlich von Bergmannssegen das Bergwerk Ottoshall hinzu. Der Bau startete 1913. Sohlen entstanden auf 400, 500 und 580 m. Am 11. Januar 1916 erfolgte in 580 m Tiefe der Durchschlag zu Bergmannssegen. Eine Förderung erfolgte in Ottoshall nur für einen sehr kurzen Zeitraum. Schon 1917 entschied man sich, dieses Werk nur noch als Wetterschacht für die Belüftung der Anlage Bergmannssegen zu verwenden.

Der Standort Hugo wurde zum wichtigsten der vier. Auf dem Gelände entstand 1910 ein Kraftwerk, welches auch die anderen drei Objekte versorgte. Außerdem gab es dort ab 1925 eine Chlorkaliumfabrik für die Verarbeitung der Rohstoffe. Sowohl von Bergmannssegen, als auch von Erichssegen führten übertage Material-Seilbahnen zu dieser Fabrik.

In den 1920er Jahren brach das Kali-Monopol zusammen, da auch in anderen Ländern die Förderung aufgenommen wurde. Als Folge mußten hierzulande zahlreiche Bergwerke geschlossen oder zumindest in einen Reservestatus überführt werden.
Aufgrund dieser Umstände sah man sich gezwungen, die Kali-Förderung in den Anlagen Hugo und Erichssegen einzustellen. Dieses erfolgte für beide Schächte im Jahr 1927. In Hugo lief bis 1930 noch der Abbau von Steinsalz in geringem Umfang weiter. Der übertägige Fabrikbetrieb ist 1932 eingestellt worden. In der Anlage Bergmannssegen lief die Kali-Gewinnung weiter. Dort wurden die Förderanlagen 1927 umgebaut, wodurch die Ausbeute erheblich gesteigert werden konnte.

Nach dem verlorenen I. Weltkrieg legten die Siegermächte Deutschland strenge Restriktionen für das Militär auf. Unter anderem durfte in jedem der sieben Wehrkreise nur eine Munitionsanstalt bestehen. Nach der Machtübernahme 1933 begannen die Nationalsozialisten umgehend eine massive Aufrüstung. Zunächst erfolgte diese im Geheimen. Es sollten diverse neue Munitionsanstalten aufgebaut werden. Dazu trieb die Feldzeugverwaltung ab 1934 das Vorhaben voran, mehrere stillgelegte Kali-Bergwerke zu übernehmen. Unterirdische Anlagen boten den Vorteil, deutlich weniger auffällig zu sein, als größere oberirdische Bauvorhaben.
Die Kali-Industrie unterstützte die Pläne mit Nachdruck. Die im Reservestatus gehaltenen Standorte verursachten laufend hohe Kosten, unter anderem, da vor Ort Personal mit der Aufrechterhaltung der Betriebssicherheit beschäftigt werden mußte. Die in Kassel beheimatete Wintershall AG bot schon Anfang 1934 dem Militär das Werk Bernterode (Thüringen) zum Testen von Einlagerungen untertage an. Die Erprobung verlief zur Zufriedenheit, sofort wurden weitere Standorte offeriert.
Zur Verschleierung trugen diese Objekte zunächst weiterhin die Bezeichnung Kaliwerk. Dabei entstanden auch die ungewöhnlichen Bezeichnungen Heereskaliwerk und Heereskalisalzbergwerk. Noch im Jahr 1934 begannen die Vorbereitungen zur Übernahme der ersten sieben Bergwerke durch das Heeres-Feldzeugwesen. Im Gebiet von Niedersachsen waren zwei Objekte davon betroffen. So kam die Truppe nun zu dem „Kaliwerk Lehrte“ und dem „Kaliwerk Godenau“. Am 24. September 1935 erging der Erlaß vom Oberkommando des Heeres, jetzt die Tarnbezeichnungen aufzuheben.

Die Dienststelle in Lehrte ist am 4. Februar 1935 aufgestellt worden, die offizielle Übernahme von der Wintershall AG folgte am 15. April. Ab Aufhebung der Verschleierung lautete die offizielle Bezeichnung der Einrichtung Heeres-Nebenmunitionsanstalt (Bergwerk) Lehrte. HNMa teilen sich auf in die Typen a und b. Typ b sind kleine Objekte mit regionaler Zuständigkeit. Der zumeist größere Typ a hat besondere Aufgaben und untersteht den Feldzeugkommandos unmittelbar, so auch die HNMa Lehrte. Sie diente als größeres strategisches Vorratslager für Munition.
Zunächst gehörte sie zum in Hannover ansässigen Feldzeugkommando XI. Im Mai 1938 erfolgte eine Umorganisation aller in Bergwerken untergebrachten HMa und HNMa. Es wurde in Kassel das Feldzeugkommando XXX aufgestellt, das fortan diese Anlagen führte.

Für den Bedarf der Nebenmuna mußten auf dem übertägigen Schachtgelände von Erichssegen einige Gebäude neu errichtet werden. Vorhanden waren bereits die für ein Bergwerk typische Bauten, wie Pförtnerhaus, Verwaltungsgebäude, Schachthalle mit Förderturm sowie eine Fördermaschine. Für die Wehrmacht kamen auf dem Grundstück hinzu: Kasino, ein Unterkunftsgebäude, zwei Lagergebäude, Kfz-Halle, Schuppen für Anhänger, Tankstelle und Trafoturm. Außerdem legte man einen Feuerlöschteich an, daneben ein Schuppen für Feuerlöschgerät. Zuzüglich kleiner Ergänzungen standen somit auf dem nur 2 ha großen Grundstück recht viele Bauten dicht beieinander.
Wichtig waren auch Unterbringungsmöglichkeiten für Beschäftigte. Dazu erwarb der Staat unmittelbar südlich angrenzend eine Fläche mit weiteren knapp 3 ha. Hier konnte das Arbeitslager aufgebaut werden. In Heeres-Munitionsanstalten bekamen alle Bauten eine Typ-Kennziffer aus der Raumbedarfsnachweisung (RBN). Diese bestimmte die Funktion des Bauwerks, bei der baulichen Ausführung gab es allerdings Anpassungen an den örtlichen Bedarf. In Lehrte wurden gebaut: Verwaltungsgebäude (RBN 60) mit den Abmessungen 31x11,5 m, Wirtschaftsgebäude (RBN 59) mit zwei Flügeln, zu 59x14 m plus 25x13 m, und zwei Unterkunftsgebäude (RBN 58) mit 63x12 m. Dazu kam ein Lagerhaus (RBN 61) und ein separat stehender Kartoffelkeller.

Auch in den Untertageanlagen waren einige Baumaßnahmen erforderlich. Es mußten die durch den Kali-Abbau entstandenen Hohlräume für die Abstellung von Munitionskisten hergerichtet werden. Im Betriebsplan für das Jahr 1937 steht das Vorhaben, weitere 13 Kammern für Lagerzwecke zu schaffen. Auch in den folgenden Jahren wird öfter die Schaffung von zusätzlichen Kammern vorgesehen. Aus dem Jahr 1940 liegt ein Plan vor, der ein großes Gebiet für die Schaffung neuer Lagerräume ausweist. Es dehnte sich am Westrand des Schachtes Erichssegen Richtung Norden bis zum Schacht Ottoshall aus. Realisiert wurde von dieser Planung allerdings nichts.
Für die Transporte auf der 580 m-Sohle lagen bereits Gleise auf denen Loren bewegt worden sind. Die Feldzeugverwaltung beantragte die Nutzung von neu zu beschaffenden Diesellokomotiven. Berechnungen ergaben, daß selbst dafür die natürliche Frischluftzufuhr im Untergrund ausreichte und man keine zusätzliche Ventilation benötigte. Neben dem Materialtransport wurde auch die Personenbeförderung auf der Schiene durchgeführt.
Die Loren sind in den beiden Schächten Bergmannssegen und Hugo auf entsprechende Förderkörbe gerollt worden und kamen so an die Oberfläche. Ab Erichssegen mußte auf LKW umgeladen und zu einem Verladebahnhof gefahren werden. Einfacher war es im Werk Hugo. Dort gab es direkt neben der Schachthalle einen Gleisanschluß, der eine Anbindung an die Reichsbahnstrecke Lehrte - Hildesheim hatte.

Schon im Betriebsplan für 1937 wird für das Jahresende erstmalig der vorgesehene Bau eines Arbeitsraumes genannt. Dieser sollte auf der 580 m-Sohle entstehen und für die Bearbeitung von Munition genutzt werden, eine Tätigkeit die über die Aufgaben einer Nebenmuna hinausging. Die Realisierung hat man nicht mit Nachdruck betrieben, sie zog sich über mehrere Jahre hin.
Als nächstes wird im Betriebsplan für 1939 die Schaffung eines weiteren Arbeitsraumes genannt, der erste war allerdings noch nicht fertig. Für die Munitionsarbeitsräume (MAR) wurden neue Kammern in das Gestein geschlagen. Beide sollten in zwei Bereiche aufgeteilt werden. Die Pläne zeigen Nummern für die Objekte, bei der ersten Kammer MAR 1+2, bei der zweiten 3+4.
Zusätzlich hat man bei diesen Kammern kleinere Abstellräume eingebracht. Ergänzend kam ein Lötraum hinzu. Damit bekam der Arbeitsbereich eine Struktur, die der von oberirdischen Munitionsanstalten sehr ähnlich war. Dort standen größere Munitionsarbeitshäuser, in denen der Fertigungsprozeß von Munition stattfand. In deren Nähe gab es kleine Handmunitionshäuser für die Deponierung eines kleineren Bestandes an Munitionsteilen und Explosivstoffen, gewissermaßen ein Handvorrat für den laufenden Bedarf. Und es ist bei den Arbeitsbereichen auch stets ein Löthaus vorhanden, in dem die Blechkisten aufgelötet werden konnten, deren Inhalt die Zünder für Munition waren.
Außerdem wird untertage ein neu geschaffener staubsicherer Raum genannt. Und für das Personal entstand eine Kammer, die man für mehrere Aufenthaltsräume aufgeteilt hat; als Wohlfahrtsraum 1-4 bezeichnet. Selbstverständlich ist auch eine Toilette eingerichtet worden.
Die Kammer für den MAR 1+2 wies eine Grundfläche von 80x10 m und 3,8 m Höhe auf. Man hat sie an einem Stollen errichtet, der vom Hauptquerschlag Hugo - Erichssegen Richtung Norden abzweigt. Drei Zugänge führten in den Arbeitsraum. 10 m weiter nördlich entstand ein zweiteiliger Abstellraum. Der MAR 3+4 bekam seinen Platz einige hundert Meter entfernt, am Hauptquerschlag auf halber Strecke zwischen den Schächten Hugo und Bergmannssegen. Auch dort kam ein Abstellraum hinzu.
Etwa mittig zwischen den Arbeitsräumen ist am Hauptstollen der Wohlfahrtsraum geschaffen worden. Er bekam die Dimension 60x8 m mit 3 m Deckenhöhe. Der staubsichere Raum und der Lötraum befanden sich direkt an der Abzweigung zu MAR 1+2.

Neben den untertägigen Ausbaumaßnahmen ergaben sich während der Betriebszeit einige weitere Ereignisse, die für die Anlage Bedeutung hatten. 1939 wurde die Überholung des Schachtes Hugo erforderlich. Insbesondere die Förderanlage sollte saniert und dabei modernisiert werden. Für die Arbeiten war ein Jahr veranschlagt. Dieses ergab für den Betrieb der HNMa einige Einschränkungen. Für den Förderbetrieb nach übertage stand nun nur noch Erichssegen zur Verfügung. Die Arbeiten am Schacht zogen sich deutlich länger hin, als geplant. Die Beförderung von Munitionstransporten hat man aber schon früher wieder aufgenommen. Zum einen war die Entfernung von den Lagerorten zum Schacht Hugo deutlich kürzer, zum anderen konnte in Hugo direkt auf die Eisenbahn verladen werden. Bemerkenswert ist, daß das Gelände von Hugo erst im Jahr 1940 eine Einzäunung bekam.
Eine Meldung von Ende 1940 zeigte, daß eine größere Anzahl neu geschaffener Lagerräume nicht im Frischluftzug lag. Da durch mögliche Ausgasungen der Munition eine besondere Gefahr bestand, mußte man dort Ventilatoren einsetzen.
Eine merkwürdige Notiz zeigt der Betriebsplan für 1941. Die Wintershall AG fordert den Schacht Erichssegen zurück. Weiteres wird von der Wehrmacht dazu nicht ausgeführt, nur daß zunächst weitere Ausbauten in der Anlage in Frage gestellt werden. Danach wird darüber nicht mehr berichtet, dem Ansinnen ist aber erkennbar nicht stattgegeben worden.

In den Dokumenten ist keine Angabe zu finden, wann die Produktion von Munition startete. Der Betriebsplan für 1943 teilt mit, daß die Arbeitsräume immer noch nicht fertig sind! Möglicherweise führte man inzwischen eine Fertigung provisorisch durch. Erst im Jahr 1944 wird um die Genehmigung eines „nicht schlagwettergeschützten Motors zum Antrieb der Verschlußschraubenabziehvorrichtung“ im Arbeitsraum 1+2 gebeten.
Nun erfolgten Umbenennungen. Zum 2. Mai 1944 änderte sich der Name der Anlage von HNMa (Bw) Lehrte in HNMa (Bw) Ilten. Damit ist wohl dem Umstand Rechnung getragen worden, daß der Munitionsumschlag inzwischen hauptsächlich über den Schacht Hugo erfolgte, der auf Gebiet der Ortschaft Ilten liegt.
Schon am 27. Juli des Jahres folgte die nächste Änderung. Fortan hieß das Objekt Heeres-Munitionsanstalt (Bw) Ilten. Somit wurde nun also auch offiziell die Aufnahme der Munitionsfertigung erkennbar.
Schließlich sei noch aus dem Betriebsplan für 1945 erwähnt: Der Einbau der elektrischen Beleuchtung im Arbeitsraum 3+4 soll durchgeführt werden. Demnach befand sich dieser MAR bis dahin immer noch nicht in Betrieb!

Über die Munitionsarten, die im hiesigen Objekt gelagert bzw. später gefertigt wurden, liegen keine Angaben vor. Allerdings hat man anläßlich der Untersuchungen eines Unglücks eine Sorte genannt. Es ist darüber ein detaillierter Bericht verfaßt worden:
Am 8. März 1943 fiel um 13:22 Uhr eine Munitionskiste mit zehn 5 cm Werfergranaten von übertage in den Schacht Erichssegen. In 320 m Tiefe schlug die Kiste auf und öffnete sich, die Granaten fielen heraus. Eine Granate schlug bei 383 m auf und explodierte. Dort wurde ein Förderseil leicht beschädigt, am Schachtausbau entstanden nur geringe Schäden. Eine zweite Granate schlug bei 415 m auf und explodierte ebenfalls. Auch hier gab es nur leichte Schäden am Schachtausbau. Da zunächst nicht mehr gefunden worden ist, ging man davon aus, daß die restlichen 8 Granaten wohl ganz unten in den Schachtsumpf gefallen und nicht explodiert sind. Im Sumpf standen mehrere Meter Wasser. Das war zur Bergung nun abzupumpen. Die Förderung konnte nach Feststellung der geringen Schäden bereits um 15:03 Uhr wieder aufgenommen werden.
Bei der Suche im entleerten Sumpf fand man sieben Granaten. Um die achte zu finden ist erneut die gesamte Schachtwand inspiziert worden. Nun wurde man bei 500 m erfolgreich; auf einer aus der Schachtwand herausstehenden Befestigung lag der Explosivkörper. Somit waren nun alle geborgen. Als Unglücksursache hat man den Transport auf offenen Rungenwagen ermittelt. Diese sollten künftig mit Drahtgittern abgedeckt werden, um gleiches für die Zukunft zu verhindern.
Aus dem Jahr 1938 gibt es eine Angabe zu den umgeschlagenen Mengen. Als Eingang sind 457 Eisenbahnwaggons genannt und als Ausgang 581 Waggons.
Es liegt ein Dokument mit Stand 3.2.1939 vor, in den man die Munitions-Ausstattung von Divisionen für den Kriegsfall vorgeplant hatte. Darin ist angegeben, von welchen Muna Munitionszüge beladen und auf den Weg zu den Einsatzräumen gebracht werden müßten. Als Absender wurden stets Munitionsanstalten benannt, die einzige darin aufgeführte Nebenmunitionsanstalt war Lehrte. Von hier sollte auf das Codewort „Eugen“ der Munitionszug Nr. 341 mit Infanteriemunition beladen und abmarschfertig gemacht werden.

Eine andersartige Verwendung wurde zum Ende des Krieges hin bei den benachbarten Objekten vorbereitet. Für das in Hannover beheimatete Geha-Werk und für das Reichsinstitut für Erdölforschung sollte in der Schachtanlage Bergmannssegen 1.500 bis 2.000 m² Nutzfläche mit der Aufgabe einer geschützte Fertigung von Kompassen und der Einlagerung von Materialien eingerichtet werden. Wie weit die Ausbauten bzw. Nutzung in dieser Untertageverlagerung mit dem Decknamen "Lama" fortgeführt werden konnten, ist nicht bekannt.

Über das in der (Neben)Muna tätige Personal liegen kaum Angaben vor. Da der Betrieb bereits in Friedenszeiten aufgenommen worden ist, werden in den ersten Jahren weitestgehend nur deutsche Kräfte dort tätig gewesen sein. Üblicherweise fanden einige in der Umgebung lebende Menschen hier eine neue Arbeitsstelle. Mit der Steigerung der Aktivitäten in der Anlage wurde auch mehr Personal erforderlich. Man hat seinerzeit die Dienstverpflichtung von Arbeitern durchgeführt. Oft kamen diese Kräfte aus weiterer Entfernung. Für deren Unterbringen stand das Arbeitslager neben dem Schachtgelände bereit.
Insbesondere nach Beginn des II. Weltkrieges nahm die Anzahl verfügbarer deutscher Kräfte stetig ab, Männer wurden vermehrt zur Wehrmacht einberufen. Das Deutsche Reich hat nun Menschen aus den besetzten Ländern herangezogen. Anfangs gelang das teilweise noch auf freiwilliger Basis, später ist immer mehr Zwang ausgeübt worden.
In der Fertigung der Munition setzte man meist Frauen ein. Die weiterhin erfolgenden Ausbauten und weiteren schweren Arbeiten untertage hatten sicherlich hauptsächlich Männer ausgeführt. Andernorts wurden dazu oft Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter eingesetzt. Von einem separaten Arbeitskommando im Umfeld der Schächte ist allerdings nichts überliefert.
Im Laufe der Betriebsjahre wuchs die Zahl der Beschäftigten an. Für das Jahr 1936 ist übermittelt, daß nur 22 bis 30 Mann untertage arbeiten. Ende 1943 waren es untertage 120 und übertage 10 Arbeitskräfte. Schließlich werden für Ende 1944 untertage 279 und übertage 16 Arbeitskräfte gezählt.

Ein Aspekt der Verlagerung von Munitionsanstalten in Bergwerke betraf den Schutz vor Luftangriffen. Die Werksgelände waren klein und sowohl schwieriger aufzuklären, als auch schwerer zu treffen. Die eingelagerte Munition und Fertigungsstätten sind in großer Tiefe gut geschützt gewesen. Allerdings hätte eine mögliche Zerstörung beider Förderschächte den Betrieb schlagartig gelähmt. Während des II. Weltkrieges sind aber keine Luftangriffe auf die hiesigen Objekte durchgeführt worden.
Die US Army erreichte am 11. April 1945 mit Verbänden ihrer 84th Infantry Division das Gebiet von Lehrte und beendete den Krieg für die Gegend. Den Alliierten fiel somit eine unversehrte Muna mit eingelagerten Munitionsbeständen in die Hände.

 Ab 1945: 
Am Kriegsende befand sich die US Army vor Ort, sie übernahm zunächst die Kontrolle über die Muna. Das Arbeitslager ist von ihnen vorübergehend als „Ausländerlager Stalin“ geführt worden. Der Name läßt vermuten, daß hauptsächlich Menschen aus der Sowjetunion hier eine Unterkunft bekamen.
Das Gebiet von Niedersachsen wurde vereinbarungsgemäß Teil der Britischen Besatzungszone. Die Übergabe von der US Army an die British Army erfolgte am 17. Juni 1945. Die Truppe belegte nun Bauten am Bergwerk Erichssegen. Es ist die 303 EADCU (Enemy Ammunition Depot Control Unit RAOC) gewesen, welche der 76 Depot Control Company unterstand.
Es war aber auch noch die Wehrmacht anwesend. Die Dienststelle mußte auf Veranlassung, und unter Kontrolle der Briten, die Munition aus den Untertageanlagen herausbefördern und für den Abtransport bereitstellen. Ein Schreiben vom 20. Dezember 1945 mit dem Absender „Ehem. Heeres-Mun.-Anstalt Ilten“ teilt mit: „Die ehem. H.Ma. Ilten stellt am 22.12.45 nach vollständiger Entleerung der Grube die Arbeiten ein und wird die Grube in den nächsten Tagen an die Wintershall A.G. übergeben“. Den Vollzug bestätigte Wintershall am 24.12.1945.

Für die Briten war klar, daß für die Versorgung der Bevölkerung in Deutschland die Landwirtschaft zu unterstützen war. Daher genehmigten sie schon Im Juni 1946 die Wiederaufnahme der Kali-Förderung im Bergwerk Hugo/Erichssegen. Das Gelände von Hugo durfte komplett von Wintershall genutzt werden, bei Erichssegen nur das für den Bergwerksbetrieb Notwendige. Im folgenden Jahr hat man das umgesetzt, was bereits vor 1912 in den Planungen stand: Auf der 580 m-Sohle ist eine Verbindung zwischen Hugo und Bergmannssegen geschaffen worden.

Die British Army stellte mit Zivilbeschäftigten Dienstgruppen auf, die Arbeiten für das Militär ausführten. Das Personal bestand aus Deutschen, sowie ehemaligen Fremd- und Zwangsarbeitern, die nicht in ihre Heimatländer zurückkehren konnten oder wollten. In einigen Bauten von Erichssegen und dem Arbeitslager hat man Arbeiter und deren Familien untergebracht, sie bildeten die 518 PCLO (Pioneer and Civil Labour Unit). Diese zog bald nach Braunschweig um, die British Army befand sich ab 1948 nicht mehr auf dem Gelände.
Schon vor der Räumung und Freigabe gab es unterschiedliche Interessen für die anschließende Verwendung der Liegenschaft. Bereits 1947 hatte die Wintershall AG freie Räumlichkeiten für die Einquartierung von deren Arbeitskräften herangezogen. Der Bedarf wuchs, da die Nutzung der Bergwerke beständig anstieg und mehr Personal erforderte. Im April 1948 lebten 130 Beschäftigte im Lager.
Die Gemeinde Lehrte hatte allerdings eigene Pläne für das Arbeitslager. Sie wollte hier ein Tuberkulose-Krankenhaus einrichten. 1948 ist eine Übereinkunft getroffen worden, die für den größten Teil des Arbeitslagers eine Nutzung als Heilstätte erbrachte. Im folgenden Jahr starteten Planungen und Umbaumaßnahmen an den Häusern, um sie für die neue Verwendung herzurichten. Nach dieser Nutzungsphase wurde daraus ein Altenheim, welches bis in die 1990er Jahre bestand.

Beim Betrieb des Bergwerks ergab sich 1959 eine grundlegende Änderung. Der Schacht Erichssegen diente ab da nur noch als Wetterschacht zur Belüftung der Bergwerke Hugo und Bergmannssegen. Von Hugo ist 1983 noch ein Durchschlag zum 3 km weiter südlich im Ort Sehnde befindlichen Bergwerk Friedrichshall erfolgt. Aber bereits im Jahr 1994 verfügte man aufgrund von Rationalisierungen die Einstellung des Förderbetriebes in der Gesamtanlage.
Für stillgelegte Schachtanlagen steht im Regelfall am Ende die planmäßige Flutung des gesamten Objektes an. Damit ist am Schacht Hugo 1999 begonnen worden. Neben dem im Untertagebereich ohnehin beständig zulaufenden Wasser wurden zusätzlich salzhaltige Abwässer von den großen obertägigen Abraumhalden eingeleitet. Außerdem hat man große Mengen Salzlösungen per Eisenbahntransport von anderen Bergwerksstandorten herangeführt. Im Jahr 2021 war die Flutung abgeschlossen.

Auf dem Areal von Erichssegen erfolgte der Abriß der meisten obertägigen Einrichtungen wohl schon in den 1990er Jahren. Das Gelände von Schacht Hugo blieb bis heute als Industrie-Standort in der Nutzung. Die Gebäude im Arbeitslager konnten nach Schließung des Altenheims als Wohnhäuser und Lagerbauten eine neue Nutzung bekommen.

 Zustand: 
Das Gelände von Erichssegen ist heute nahezu vollständig abgeräumt. Nur der für die Nebenmuna errichtete Trafoturm steht noch. Der Schacht ist mit einer Betondecke verschlossen worden.
Dagegen sind im angrenzenden ehemaligen Arbeitslager noch fast alle historischen Gebäude erhalten. Die typische Bauweise ist unverkennbar. Durch die fortwährende Nutzung ergaben sich in Details einige Veränderungen.
Das Gelände vom Bergwerk Hugo zeigt heute von Außerhalb eine dicht gedrängte Ansammlung zahlreicher Bauten aus den unterschiedlichen Epochen. Für die andauernde intensive gewerbliche Nutzung hat man einige historische Einrichtungen abgerissen. Große modernere Fabrikgebäude kamen hinzu. Den Förderturm gibt es inzwischen nicht mehr, der Schacht bekam eine Abdeckung aus Beton.

 Zugang: 
Alle Geländeteile dürfen nicht betreten werden, können aber von außen teilweise eingesehen werden.

Blick aus der Vogelperspektive mit Google Maps:
Google Maps

Fotos:
Schachtgelände Erichssegen:

Erichssegen
Die Zufahrt zum früheren Schachtgelände Erichssegen.

Erichssegen
Erkennbar stehen keine Bauten mehr.

Schacht
Blick auf den Schacht. In früheren Zeiten hatte er eine größere Abdeckung.

Betondecke
Heute verschließt diese Betonschicht den Schacht.

Inspektionsöffnung
Eine kleine Inspektionsöffnung in der Abdeckung.

Schuppen
An dieser Stelle befand sich zu Zeiten der Nebenmuna ein Schuppen für Anhänger.

Trafoturm
Der Trafoturm ist auf dem Schachtgelände das letzte noch stehende Bauwerk aus Zeiten der Wehrmacht.

Weg
Hier Reste eines befestigten Weges.

Beton
Am Rand sind Betontrümmer zu finden.

Abraumhalde
Die Abraumhalde zeigt nur noch eine geringe Höhe.

Schachtgelände Hugo:

Hugo
Gesamtansicht des Schachtgeländes Hugo im Jahr 2002. Dahinter die sehr große Abraumhalde.

Hugo
Ein weiterer Blick in jüngerer Zeit zeigt einige Veränderungen der Bauten.

Förderturm
Der Förderturm ist heute nicht mehr vorhanden.

Haupttor
Die Bauten am Haupttor.

Verwaltung
Das Haus der Verwaltung.

Kraftwerk
Das Kraftwerk. An der großen Kesselhalle angebaut ein Wasserturm.

Nebeneinfahrt
An der Westseite befindet sich eine Nebeneinfahrt.

Arbeitslager:

Verwaltungsgebäude
Das Verwaltungsgebäude des Arbeitslagers.

Wirtschaftsgebäude
Das große Wirtschaftsgebäude von Westen betrachtet.

Unterkunft
Eines von zwei weitgehend baugleichen Unterkunftsgebäuden.

Unterkunft
Der gleiche Bau aus einer anderen Perspektive.

Unterkunft
Die zweite Unterkunft.

Lagerhaus
Auf der Grenze zum Schachtgelände steht ein Lagerhaus im gleichen Baustil.

Schachtgelände Bergmannssegen:

Bergmannssegen
Den Anblick eines klassischen Bergwerks mit Förderturm findet man heute im Umfeld nur noch beim Schacht Bergmannssegen. Dieser war allerdings nicht in die Muna einbezogen.

Karte
Maßstab

Quellenangabe:
- Niedersächsisches Umweltministerium: Gefährdungsabschätzung von Rüstungsaltlasten in Niedersachsen
- Wehrmacht: Anschriftenverzeichnis der Feldzeugdienststellen
- Annette Wienecke: „Besondere Vorkommnisse nicht bekannt“
- Gezähekiste, Hefte 8 und 9: Die kriegswirtschaftliche Bedeutung stillgelegter Kaliwerke während der NS-Zeit
- Bundesarchiv - Militärarchiv: RH 3/246, RH 12-21/28, RH 15/2727
- Niedersächsisches Landesarchiv, Abteilung Hannover
- Niedersächsisches Landesarchiv, Bergarchiv Clausthal-Zellerfeld
- https://www.lars-baumgarten.de/die-reviere-und-ihre-sch%C3%A4chte/4-s%C3%BCdhannover/4-1-bergmannssegen-hugo/
 
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