Bis
1945:
Die Geschichte des Eibia-Werkes wird auf einer eigenen
Seite ausführlich dargestellt. Eine weitere Seite berichtet über die verschiedenen Anlagen im Außenbereich.
Bei Bau der riesigen Pulverfabrik und beim anschließenden Produktionsbetrieb
wurden über die Jahre insgesamt mehr als 11.000 Menschen eingesetzt.
Man hat sie in verschiedenen Lagern im Umfeld untergebracht, von denen
einige noch heute erhalten sind.
Rund 70 Firmen waren ab 1939 mit dem Bau der Anlage beschäftigt. Zu dieser
Zeit bestanden die Arbeitskräfte, neben den Stammkräften der Baufirmen,
überwiegend aus Dienstverpflichteten und angeworbenen Fremdarbeitern
aus dem Ausland. Ergänzt wurden sie durch Arbeitstrupps des RAD. Nach
Beginn des II. Weltkrieges kamen vermehrt Kriegsgefangene aus den eroberten
Ländern dazu. Dort sind auch zahlreiche Zivilisten zum Arbeitseinsatz
in Deutschland gedrängt worden. Im Laufe des Krieges verschlimmerte sich
diese Situation immer weiter. Es wurden zahlreiche Menschen unter Zwang
nach Deutschland verschleppt. Ab 1940 sind in Liebenau auch Häftlingen
eines extra eingerichteten Arbeitserziehungslagers (AEL) eingesetzt worden.
Um Zahlen zu nennen: im Oktober 1943 waren im Werk 2900 Männer und 1400
Frauen eingesetzt, die zu 82% aus dem Ausland kamen. Die vergleichsweise
wenigen deutsche Kräfte arbeiteten überwiegend in Schlüsselpositionen.
Es handelte sich um Ingenieure, Techniker, Chemiker, Meister und Vorarbeiter.
Die Lebensbedingungen in den Lagern unterschiedene sich sehr stark. Während
Fremdarbeiter aus westlichen Ländern Verpflegungssätze bekamen, die denen
der Deutschen angenähert waren, erging es den Menschen aus östlichen
Ländern wesentlich schlechter. Die schlechteste Behandlung erfuhren die
Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion. Die schlimmsten Verhältnisse herrschten
im AEL. Bis zum Kriegende gab es im Umfeld der Pulverfabrik ungefähr
2.000 Todesopfer.
Die Arbeitsbedingungen waren überwiegend hart. Beim Bau der Fabrik mußte
körperlich schwere Arbeit verrichtet werden. Im späteren Produktionsbetrieb
kam es zu Gesundheitsschäden durch den Kontakt mit giftigen Substanzen.
Einige Personen aus den örtlichen Lagern sind aber auch in der Landwirtschaft
und örtlichen Betrieben eingesetzt worden.
Am 4. April 1945 gab es im der Pulverfabrik einen Aufstand der Zwangsarbeiter,
woraufhin der Produktionsbetrieb eingestellt werden mußte. Am 10. April
erreichten Verbände der Britischen Armee das Werk und befreiten die Lager.
- Zusammen mit der Pulverfabrik entstand ab 1939 am Nordostrand
des Werksgeländes das Steinlager 1, Liebenau. Es wurden 25 Steinhäuser
gebaut, in denen 1.000 Personen leben sollten. Hier sind vorwiegend
deutsche Arbeitskräfte mit ihren Familien, Angehörige des RAD, Dienstverpflichtete
und auch Fremd- und Zwangsarbeiter aus westeuropäischen Ländern untergebracht
worden.
- Zur gleichen Zeit wurde zwischen Werk und Steyerberg
das Steinlager 2 gebaut. Das Objekt wurde etwas anders dimensioniert.
Hier konnten 700 Personen in 27 Steinhäusern unterkommen. Belegt wurde
es überwiegend mit Frauen aus Holland, Belgien und Frankreich.
- Das Ledigenheim wies einen ähnlichen Baustil auf. Hier
wurde aber ein einzelner größerer Bau mit drei Flügeln erstellt. In
dieser Einrichtung sollten unverheiratete deutsche Angestellte wohnen.
- Beim Erwerb der Grundfläche kam auch das Schloß Eickhof
und der gegenüberliegende Gutshof in den Besitz der Montan GmbH. Auf
diesem Gelände wurden die Wachmannschaften des AEL untergebracht. Dazu
kam ein kleineres Barackenlager für ca. 400 Arbeitskräfte der Pulverfabrik.
- Spätestens im Sommer 1940 wurde am Westrand von Liebenau
ein großes Barackenlager im Bereich „Kleines Feld“ errichtet. Die Bezeichnung
lautete „Lager Liebenau I“, aber auch „Lager im kleinen Feld“ wurde
gesagt. Es bestand aus diversen großen Holzbaracken, in denen nach
Firmen getrennt 2.000 - 2.500 Arbeiter untergebracht worden sind. Deutsche
und ausländische Arbeitskräfte waren hier einquartiert. Darunter gab
es viele Italiener, Niederländer und Belgier. Diese durften sich in
Liebenau und Steyerberg frei bewegen.
- Ab Sommer 1940 ist nordöstlich vom Steinlager 2 das
„Lager Liebenau II“ aufgebaut worden. Es war für 2.000 Personen geplant,
wurde später auf 3.000 erweitert. Einen Teil nutzte zunächst der RAD.
Die größere Fläche verwendete man aber schon bald zur Unterbringung
von sowjetischen Kriegsgefangenen und polnischen Fremd- bzw. Zwangsarbeitern.
Damit wurde die Bezeichnung „Ostarbeiterlager“ gebräuchlich.
Für den August 1942 gibt es genauere Zahlen über das Lager. Insgesamt
waren zu dem Zeitpunkt 39 Holzbaracken vorhanden. 4 davon belegte der
RAD. In weiteren 4 Baracken lebten Frauen aus der Ukraine, 14 waren
mit ukrainischen Männern belegt und 3 mit sowjetischen Kriegsgefangenen.
Es gab 5 Wirtschaftsbaracken und 2 Kohlenbaracken. Des Weiteren je
eine Fahrradbaracke, Sanitätsbaracke, Entlausungsbaracke, Isolierbaracke
für Tbc-Kranke, Wäscherei- und Heizungsbaracke sowie Verwaltungs- und
Verkaufsbaracke. Schließlich war auch eine als Bunker bezeichnete Gefängnisbaracke
vorhanden.
- Weiter nordöstlich lag das Reeser Lager. Es wurde vermutlich
zur gleichen Zeit eingerichtet. Die Kapazität hatte man auf bis zu
2.000 Personen ausgelegt. Zunächst wurde es vom RAD genutzt. Dann belegte
man es mit Fremd- bzw. Zwangsarbeitern aus Polen, Frankreich, Belgien
und den Niederlanden. Ab 1941 soll es zudem als Sterbelager für sowjetische
Kriegsgefangene gedient haben.
- Nur für einen beschränkten Zeitraum bestand das Arbeitserziehungslager
(AEL) Liebenau. Es lag vom Sommer 1940 bis Mai 1943 an der Straße die
zum Schloß Eickhof führt. In das AEL sind von der Gestapo Hannover
Häftlinge eingewiesen worden, die dort besonders schlimmen Mißhandlungen
ausgesetzt waren. Es handelte sich bei den Insassen meist um Fremd-
und Zwangsarbeiter die wegen vermeintlich schlechter Arbeitsleistung
oder nach Fluchtversuchen überstellt worden sind. Aber auch Deutsche
sind in dieses Lager gekommen.
In der Zeit seines Bestehens in Liebenau wurde es von rund 5.000 Häftlingen
durchlaufen. Diese Menschen mußten im Eibia-Werk die schwersten Arbeiten
erledigen. Durchschnittlich war es mit 350 - 500 Häftlingen belegt.
1943 waren es zeitweilig sogar 700 Häftlinge. Durch Mißhandlungen kam
es zu mindestens 250 Todesfällen.
Nach Fertigstellung der Pulverfabrik verlegte das AEL nach Lahde an
die Weser, um dort beim Bau einer Staustufe mit Laufwasserkraftwerk
mitzuwirken.
Durch Verpflegungsmangel oder Mißhandlungen Verstorbene der
verschiedenen Lager wurden oft zunächst an verschiedenen Stellen außerhalb
des Betriebsgeländes verscharrt.
Ab 1945:
Die britischen Truppen requirieren nach der Besetzung das Werk, Teile
der Werksunterkünfte, Schloß Eickhof und eine Anzahl Häuser in Liebenau.
Am 10. April 1945 befanden sich ca. 3.000 Ausländer in den Lagern des
Standortes. Bis in den Juli wurden weitere befreite Fremd- und Zwangsarbeiter
sowie Kriegsgefangene aus der Umgebung hier zusammengeführt. Diese
Menschen sind nun als Displaced Persons (DPs) bezeichnet worden.
Während Personen aus westlichen Ländern sich meist sofort auf den Heimweg
machten, gab es bei der Rückführung Richtung Osten mehr Hindernisse.
Einige dieser Leute wollten nicht mehr in ihre Heimatländer zurückkehren,
da sie dort Schwierigkeiten erwarteten.
Zum Bespiel blieb eine größere Gruppe ehemaliger Zwangsarbeiter aus Jugoslawien
hier in Liebenau. Sie wurden von den Briten als Wachpersonal eingestellt
und fanden so im neu entstehenden Munitionsdepot eine Arbeit.
- Das Steinlager 1 wurde ab Oktober 1945 von der Britischen
Armee als Truppenunterkunft genutzt. Von ihnen bekam das Objekt den
Namen Pinewood-Camp. Bei dieser Verwendung blieb es bis zum Januar
1978. Nach einiger Zeit Leerstand konnte das Lager in ein neues Wohngebiet
umgewandelt werden. Das ehemalige Lagert ist heute der Liebenauer Ortsteil
Waldsiedlung.
- Im Steinlager 2, Steyerberg kamen zunächst Diplaced
Persons unter, die nicht mehr in ihre Heimatländer zurückkehren wollten.
Von den Briten wurde der Komplex Helena-Camp genannt. Sie stellten
hier eine Zivilarbeitergruppe auf, die für das Militär Transportaufgaben
erledigte. Bezeichnung der Einheit war German Civil Labour Organisation
447 (GCLO 447). Das Personal bestand überwiegend aus ehemaligen Kriegsgefangenen
der Wehrmacht und ehemalige Fremdarbeitern. Diese Belegung endete ebenfalls
1978.
Im Jahr 1983 kaufte die späteren Gemeinschaft „Lebensgarten Steyerberg
e.V.“ das Lager, seit 1985 wird es von ihnen vollständig genutzt.
- Das frühere Ledigenheim hat nach dem Krieg die unterschiedlichsten
Nutzungen erlebt. Von 1947 bis 1978 war hier die Privatklinik Dr. Engelhard
untergebracht. 1980 - 1992 war die Niedersächsische Landespolizei Hausherr.
Sie betrieb hier, und in einem ehemaligen Verwaltungsgebäude der Verwertchemie
neben dem Haupttor zum Werksgelände, eine Polizeischule. Als nächstes
wurde das Haus als Übergangswohnheim für Übersiedler und später Asylbewerber
verwendet. Inzwischen hat auch diese Nutzung geendet, das Gebäude steht
gegenwärtig leer.
- Der Gutshof wurde vermutlich frühzeitig wieder in eine
Nutzung als Wohnraum zurückgeführt. Das Schloß Eickhof blieb jedoch
bis ins Jahr 1978 das Offizierskasino der Britischen Armee. Viele Jahre
stand das Anwesen dann leer und verfiel langsam. In den 1980er Jahre
fand sich aber ein Käufer, der auf dem Gelände heute ein Meditationszentrum
betreibt.
- Die Baracken des Lagers Liebenau I bzw. „Lager im kleinen
Feld“ bildeten den Kern für einen neuen Ortsteil von Liebenau. Es waren
überwiegend Flüchtlinge aus ehemals deutschen Ostgebieten, die hier
eine neue Heimat fanden. Zunächst wurden noch die vorhandenen Baracken
bewohnt, nach und nach sind diese aber durch modernere Häuser verdrängt
worden. Heute läßt sich nur noch eine historische Baracke versteckt
zwischen den Häusern finden.
- Das Lager Liebenau II bzw. Ostarbeiterlager wurde vermutlich
schon frühzeitig abgerissen. Das Gelände konnte danach wieder forstwirtschaftlich
genutzt werden.
- Teile des Reesers Lager sind noch für einen längeren
Zeitraum als Behelfswohnraum verwendet worden. Mitte der 1970er Jahre
entstand auf dem Gelände das neue Chemiewerk Steyerberg.
- Das Arbeitserziehungslager Liebenau wurde ja noch vor
Ende des II. Weltkrieges abgebaut und verlegt. Das Gelände ist mit
der St. Laurentiusschule und einigen Sportanlagen bebaut worden.
1950 legte der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge am
westlichen Rand des Werksgeländes einen Friedhof an, auf dem die Opfer
beerdigt wurden, die in den umliegenden Lagern gelebt hatten. Diese ca.
2.000 Tote stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Errichtung und
dem Betrieb der Pulverfabrik. Es handelt sich bei den hier beerdigten
um Menschen aus osteuropäischen Ländern. Tote aus westlichen Ländern
wurden bereits während des Krieges auf den örtlichen Dorffriedhöfen bestattet.
In den folgenden Jahren wurden etwa 370 weitere ausländische Tote des
I. und II. Weltkrieges auf den Friedhof Hesterberg umgebettet. Sie kamen
aus 25 verschiedenen Orten der Landkreise Nienburg und Diepholz.
Zustand:
Zum heutigen Zustand der einzelnen Standorte:
- Das frühere Steinlager 1, die heutige Waldsiedlung,
ist im weitgehend originalen Zustand erhalten. Dazu kamen einzelne
Bauten, die von den Briten errichtet wurden.
- Auch das Steinlager 2 in Steyerberg hat das ursprüngliche
Aussehen überwiegend behalten.
- Ebenso wurde das frühere Ledigenheim in Liebenau äußerlich
kaum verändert.
- Schloß und Gutshof sind optisch wohl vollständig unverändert.
- Eine letzte Baracke liegt versteckt zwischen den moderneren
Wohnhäusern, die das Gelände des ehemaligen Lagers Liebenau I heute
überdecken.
- Vom Lager Liebenau II bzw. Ostarbeiterlager zeugt heute
an baulichen Resten nur noch ein kleines Gebäude und ein Trafoturm.
Der Rest ist mit Wald und Wiesen bedeckt.
- Der größte Teil der Fläche des Reeser Lagers ist mit
dem Chemiewerk Steyerberg überbaut worden. Östlich davon findet man
auf einer Wiese die Ruine eines Gebäudes und ein zugewachsenes Feuerlöschbecken.
- Vom Arbeitserziehungslager Liebenau gibt es heute keinerlei
Hinterlassenschaften. An der dort befindlichen Schule wurde eine Erinnerungstafel
angebracht.
Zugang:
Die meisten ehemaligen Lagerstandorte sind zugänglich oder können zumindest
von außen eingesehen werden. Das Betreten der Privatgrundstücke ist
natürlich nicht erlaubt.
Hinweis:
Eine weitere Website berichtet über die Arbeitslager der Pulverfabrik:
http://www.martinguse.de/pulverfabrik/spuren.htm
Der Lebensgarten im ehemaligen Helena-Camp ist im Internet zu erreichen:
https://www.lebensgarten.de
Dieses Buch behandelt das Thema Zwangsarbeit in der Pulverfabrik Liebenau:
Titel: „Ich war in Eurem Alter, als sie mich abholten!“
Autoren: Bodo Förster, Martin Guse
ISBN: 3-00-009250-1 |
Fotos:
-#1- Steinlager
1 Liebenau

Das markante Torgebäude mit der Hauptzufahrt zur Siedlung.

Ein Blick durch die heutige Waldsiedlung.

Größtes Gebäude ist die Turnhalle.

Hier war früher der Sanitätsbereich untergebracht.

Von den Briten wurde diese Kantine errichtet.
-#
2- Steinlager 2 Steyerberg:

Am Eingang zum Steinlager 2.

Die Architektur zeigt in beiden Steinlagern den gleichen Stil.
-#
3- Ledigenheim:

Das Ledigenheim am Rand von Liebenau.
-#
4- Schloß und Gut Eickhof:

Schloß Eickhof.

Ein Teil des Gutshofes.
-#
5- Lager Liebenau I:

Das Lager Liebenau I wurde fast vollständig von einer neueren Siedlung
überdeckt. Nur noch eine historische Baracke ist hier versteckt zu
finden.
-#
6- Lager Liebenau II bzw. Ostarbeiterlager:

Ein erhaltenes Gebäude beim früheren Lagereingang.

Der Standort der Baracken ist heute völlig von Wald und Wiesen überdeckt.

Ein alter Trafoturm ist noch zu finden.
-#
7- Reeser Lager:

Auf dem Gelände außerhalb des Chemiewerkes findet man diese Gebäuderuine.

Die Ruine von der anderen Seite.

Die Betoneinfassung eines Löschwasserteiches des ehemaligen Lagers ist
noch zu erkennen.
-#
8- Arbeitserziehungslager:

Am Ort des Arbeitserziehungslagers Liebenau. Das Gelände ist heute mit
einer Schule und Sportanlagen überbaut.
Friedhof:

Der nach dem Krieg angelegte Friedhof Hesterberg am äußersten Westrand
des Geländes.
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